2003 | 96 Min. | Kinodokumentarfilm ARTE, WDR/3sat, YLE, NPS und Filmstiftung NRW

Die Martins-Passion Kurzinhalt

Nahezu unglaublich und phantastisch klingt die Lebensgeschichte des brasilianischen Pianisten João Carlos Martins, der allen Widrigkeiten zum Trotz zum größten Bach-Interpreten nach Glenn Gould avancierte. Der Film begleitet João Carlos Martins in den schwierigsten Stunden seines Lebens und geht den Spuren seiner früheren Triumphe und Dramen nach.

Ein Romanautor würde in Bedrängnis kommen, eine Lebensgeschichte zu erfinden, so unglaublich wie die des brasilianischen Starpianisten João Carlos Martins. Erfolg und persönliche Tragödie, traumatische Verletzungen und triumphale Comebacks zeichnen sein Schicksal. Anfang der Sechziger wird der feurige Brasilianer, der Fußball genauso passioniert spielt wie Klavier, als größter Bach-Interpret nach Glenn Gould gefeiert. Eine fatale Verletzung bringt sein Leben jedoch aus dem Gleichgewicht. Der Künstler stürzt sich in ein Abenteuer nach dem anderen. Ende der Neunziger scheint Martins Karriere endgültig beendet zu sein, denn er muss den Nerv seiner rechten Hand durchtrennen lassen. Der einarmige Pianist entscheidet sich für ein Comeback nur mit der linken Hand. Mit fanatischem Eifer verlangt er der linken Hand die Arbeit von zweien ab. Der Konzerttermin in London mit einem renommierten Orchester steht bereits fest. Und es passiert wieder etwas Unfassbares.
Der Film begleitet João Carlos Martins in den schwierigsten Stunden seines Lebens, geht den Spuren seiner früheren Triumphe und Dramen nach. Martins Begegnungen mit seinem Freund, dem Fußballgenie Pelé, und der Jazzlegende Dave Brubeck erzeugen Momente des höchsten Glücks. Und zum Schluss passiert wieder ein kleines Wunder.

Ein Film über einen Menschen, der nie aufgibt und seiner Passion, der Musik, treu bleibt.

Directors Statement zu dem Film Die Martins-Passion Kurzinhalt

von Irene Langemann

Oft werde ich gefragt, wie ich diese wahnsinnige Geschichte eigentlich gefunden habe. Ganz einfach: Sie stand im Spiegel im Mai 2002. Der Artikel von Matthias Matussek hat mich derartig elektrisiert, dass ich am nächsten Tag per Email den Kontakt zum Autor und dann sehr schnell direkt zu meinem zukünftigen Filmhelden João Carlos Martins aufnahm. Schon drei Wochen später saßen wir uns in einem italienischen Lokal am Rheinufer gegenüber und alles schien sehr leicht. Mit im Gepäck hatte João Carlos ein 54-seitiges Traktat. Er hat es für einen inzwischen verstorbenen Filmproduzenten aus Hollywood geschrieben, der an einem Spielfilm über seine Lebensgeschichte arbeitete.
Schnell war ein erstes Treatment geschrieben und mein Produzent Wolfgang Bergmann traf in glücklicher Fügung mit Hans-Robert Eisenhauer zusammen, dem gerade eine Dokumentation eines kanadischen Produzenten für den Themenabend „Das Piano“ geplatzt war und der die ersten 100.000 Euro zusicherte. Vorher hatte uns die engagierte Redakteurin des finnischen Satellitenfernsehens, Leena Pasanen schon 5.000 Euro zugesichert. (Hört sich wenig an, ist aber der dornenreiche Weg zur Erlangung der wichtigen 20% Förderung durch MEDIA Brüssel.)
Doch dann – wie könnte es auch anders sein – fingen die Schwierigkeiten an. Die Filmstiftung NRW behandelte den Antrag nicht bei der ersten Einreichung und die deutschen Fernsehanstalten von Nord nach Süd und Ost nach West lehnten alle den Film ab. Zu fremd, zu unbekannt sei der Pianist, und Musikthemen seien beim Publikum nicht beliebt. Siehe Musikantenstadl.
Auch die großen Förderinstitutionen wie FFA und BKM lehnten den Film ab. Während ich immer davon ausging, dass das eine große Spielfilmgeschichte fürs Kino sei, meinten die Damen und Herren dort, dass alles zu fernsehmäßig sei. Manchmal denke ich, dass diese Menschen überhaupt kein Fernsehen schauen.
Weil ich das Warten nicht mehr aushalten konnte, reiste ich zur weiteren Recherche nach Brasilien. Ich war das erste Mal in Lateinamerika und kam aus dem Staunen nicht heraus. Alle Klischees von dem armen Brasilien wichen einem differenzierten Bild von Dynamik und Lebensfreude, kulturellem Reichtum und Neugier. Gott sei Dank hält sich mein Protagonist für einen Preußen, sodaß meine eigenen Vorstellungen von Disziplin und Genauigkeit mit den seinigen zusammen trafen. Als wir uns freundschaftlich verabschiedeten war mein Interesse an dem Filmprojekt noch weiter gewachsen.
Einen großen Schub gab es dann im November bei dem legendären Pitchen in Amsterdam. Pitchen nennt man den 5 oder 7-minütigen Vortrag des Autors, des Produzenten und Redakteurs vor einer Schar von fünfzig internationalen Redakteuren. Kurz vor Beginn unserer choreographierten Vorstellung bekamen wir die Nachricht von der Förderung in Höhe von 150.000 Euro durch die Filmstiftung NRW und am Ende erhielten wir Ovationen und einige Visitenkarten von kaufwilligen Redakteuren.
Glaubte ich nun, wir könnten mit den Dreharbeiten beginnen, belehrte mich mein Produzent hingegen, dass erst die gesamte Finanzierung geschlossen sein müsse, bevor Geld fließen werde.
Und dann begann das eigentliche Drama. Ende Januar erreichte mich dann eine Email aus Sao Paulo, von der Ehefrau des Protagonisten mit dem kurzen Text: „Der Traum ist vorbei, Joao wird nie wieder Klavier spielen können. Jetzt ist auch seine linke hand außer Gefecht.“ Nachdem der Schrecken einigermaßen verklungen war, denn das wäre das Ende des Films gewesen, beschlossen wir, zusammen mit dem Kameramann Dieter Stürmer und einer kleinen DV Kamera nach Sao Paulo zu reisen, um vor Ort die Situation zu beobachten. Dies stellte sich nachträglich als die wichtigste und beste Entscheidung heraus. Nicht nur unser kranke Held – die Sehnen seiner linken Hand hatten sich entzündet und mussten operiert werden – war von unserer mit allen Risiken behafteten Entscheidung zu ihm zu kommen und für das Filmprojekt zu kämpfen positiv berührt, auch die Bilder die wir mit ihm in dieser Zeit machten, sind im fertigen Film und eindrucksvoll. Das geplante Ende des Films, ein hochkarätiges Come-back Konzert in London mit den Royal Philharmonic Orchestra, war allerdings illusorisch geworden. Von nun an verfolgte mich der Gedanke, was wird das neue Ende des Films sein?
Auch der Produzent war nun der Meinung, dass wir auf den Abschluss der Finanzierung nicht warten könnten und nahm einen zusätzlichen Kredit in Höhe von 90.000 Euro auf, um die Finanzierung zu schließen.

Endlich konnten die Dreharbeiten am 1. April losgehen. Während der Vorbereitungen in Sao Paulo überraschte uns João Carlos mit der Frage, ob er der Gewerkschaft zusagen solle, am 1. Mai vor einer Millionenpublikum in Sao Paulo die brasilianische Nationalhymne zu spielen. Obwohl alle Tickets für die Drehreise schon gebucht waren, und wir eigentlich am 1. Mai in New York sein wollten, sah ich hier plötzlich das neue Ende des Films und wir buchten für über 7.000 Euro eine neue Route.

Die fünfwöchigen Dreharbeiten waren nicht so leicht, wie das in der Vorbereitungszeit aussah. Nicht nur dass der Protagonist auf einmal spürte, dass es hier um sein ganzes Leben ging. So wie dieser Film ihn darstellt wird die Nachwelt ihn sehen. Dann ärgerte ihn aber auch, er wird es niemals zugeben, dass eine Frau Regie führt, sozusagen über sein Vermächtnis verfügt, dass war selbst für einen modernen intelligenten Lateinamerikaner schwer auszuhalten.

Um so mehr freute ich mich, dass er im August 2003, als wir ihm den Rohschnitt in Köln vorführten, total beeindruckt war und alle Ängste einer falschen, nicht-brasilianischen Interpretation seines Lebens von ihm abfielen.

Es war sehr kompliziert, eine geeignete Erzählstruktur für den Film zu finden. Von Anfang an wusste ich, dass man seine Geschichte nicht chronologisch darstellen kann. Zusammen mit meinem langjährigen Cutter Kawe Vakil haben wir durch immer neue Versuche der Montage, der Gruppierung, der Rhythmisierung die jetzt gefundene Form entwickelt. Fünf oder sechs Projektionen mit Freunden und Unbekannten waren eine weitere Hilfe, die eigene Gedankenprojektion mit der Realität des Betrachters abzustimmen. Ich will nicht verschweigen, dass mich manchmal Verbesserungsvorschläge des Films kalt lassen und ich sie ignoriere.

Mein letztes Wort? Die Martins-Passion ist mein wichtigster Film geworden. Der Preis bei der Premiere auf dem Festival in Biarritz – die FIPA D’OR – hat mich sehr gefreut.
Der Film ist für mich eine universelle Metapher für den Optimismus des Lebens. Es ist ein Film über einen Menschen, der nie aufgibt.

João Carlos Martins am 1. Mai 2003

Dreharbeiten mit João Carlos Martins und der Fußballlegende Pelé

Mit Kameramann Dieter Stürmer