2012 | 90 Min. | Kinodokumentarfilm SWR/ARTE, WDR, Film- und Medienstiftung NRW

Das Lied des Lebens

Begeistert von der Schönheit alter „faltiger“ Stimmen, entwirft der Komponist Bernhard König mit Senioren am Neckar und Rhein Lieder zu den Erinnerungen und Emotionen ihres langen Lebens. Musik für reife Stimmen. Musik als Lebenselixier im Alter.

Ein hundertprozentiger „Überzeugungstäter“ sei er, sagt Komponist Bernhard König, wenn er über seine neuartigen Musikkonzepte für alte Menschen spricht. Begeistert von der Schönheit der alten „faltigen“ Stimmen, vermittelt er Senioren, wie man Musik meditierend, trauernd, liebend, lernend, protestierend, staunend und beglückt erleben kann.
Im Stuttgarter Generationenzentrum Sonnenberg führt der Musiker biographische Interviews mit alten Menschen, um deren verschüttete Träume und Traumata aufzuspüren. Zentrales Thema sind die „Lieblings- und Lebenslieder“. Lieder, die in der eigenen Biographie verankert sind und für eine ganz besondere Geschichte oder Erinnerung stehen. Bei der 78jährigen Magdalena Reisinger löst das Lied „Kann denn Liebe Sünde sein“ einen emotionalen Ausbruch aus. Mit vierzehn Jahren ist sie schwanger geworden. Geächtet von den Dorfbewohnern, täglich von ihrer Mutter verprügelt, brachte sie als fünfzehnjähriges Mädchen eine Tochter zur Welt. Dieses Erlebnis, das auf dramatische, aber auch beglückende Weise ihr Leben geprägt hat, ist für Bernhard König der Ausgangspunkt, das ‚Lied des Lebens’ von Magdalena Reisinger zu komponieren.
Diese Arbeit setzt Bernhard König in Köln mit dem Experimentalchor „Alte Stimmen“ fort. Hier darf mitsingen wer mindestens 70 Jahre alt ist und Lust auf musikalische Experimente hat. Der älteste Chorsänger Alfred Adamszak ist 91, und kein bisschen müde – trotz der schlimmen Kriegserlebnisse und der schmerzhaften Abschiede von geliebten Menschen. Auch diese Biographie nimmt der Komponist zum Anlass, um zusammen mit dem Chor ein Lied von ergreifender und expressiver Stärke zu entwickeln.
Obwohl Bernhard König seit vielen Jahren Musik für die abenteuerlichsten Anlässe erfindet, hat er noch nie ein Projekt erlebt, das so viele Überraschungen bereithält und eine solche zwischenmenschliche Dynamik und emotionale Tiefe entwickelt.

Director’s Statement zum Film „Das Lied des Lebens“
von Irene Langemann

Die Idee zum Film…
… kam von dem Komponisten Bernhard König, der meine Musikfilme schätzt. Sein Wunsch war, die private und intime ‚Musik vor Ort‘, die er in einem Stuttgarter Altenheim mit Senioren erarbeitete, in einer filmischen Beobachtung festzuhalten. So würden auch Außenstehende an diesen berührenden Begegnungen teilhaben können. Es bot sich außerdem seine Arbeit mit dem „Experimentalchor Alte Stimmen“ in Köln an, den er zusammen mit den Kolleginnen Ortrud Kegel und Alexandra Naumann gegründet hat. Schon beim ersten Probenbesuch war ich fasziniert von dem Ideenreichtum der Musiker und der Freude der Chorsänger am musikalischen Experiment. Das Klischeebild – „Alte Leute singen Volkslieder“ war weggefegt.

Die Herausforderung…
… war aus der Vielfalt dieser Arbeit an zwei sehr unterschiedlichen Orten eine prägnante Filmgeschichte herauszukristallisieren. Bei Recherchen im Stuttgarter Generationenzentrum Sonnenberg erlebte ich, wie Bernhard König mit Singen und Musizieren eine Art Erinnerungsbrücke in die Vergangenheit der Senioren baute. So dass sie aus ihrer Erstarrung erwachten und erstaunlich lebendig wurden. Auch ich begann mir filmische Brücken vorzustellen, die sich aus der Vergangenheit der Protagonisten in die Gegenwart spannten. Ich entschied mich, den Fokus auf das Biographische zum Ausgangspunkt der Filmreise zu machen. Aus den verschütteten Erinnerungen würde Bernhard König mit den Senioren später die Lieder ihres Lebens entwickeln. Ein eigenes Lied, eine eigene Haltung für die Erinnerungen und Emotionen eines langen Lebens, unterstützt von professionellen Musikern.

Die Überraschungen…
… fingen beim ersten biographischen Interview mit der erblindeten Psychologin Sigrid Thost an. Mit beeindruckender Sprachgewalt schilderte sie das schwer ertragbare Leid, das ihr in ihrem Leben mehrfach begegnet ist. So nahmen zwei tragende Leitmotive des Films ihren Lauf: die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Himmel, als symbolischer Ort für die Erlösung vom Leid, für Hoffnung und Glauben. Die Fokussierung auf existentielle Erlebnisse habe ich zur durchgehenden Methode im Film entwickelt. In der Montage haben wir diese Geschichten bei jedem Protagonisten zu einem einzigen einschneidenden Lebenserlebnis verdichtet.

Die Dreharbeiten…
… fanden in einem Zeitraum von zehn Monaten statt. Da die Herangehensweise eine situative und beobachtende war, sind die meisten Episoden nur einmal vor der Kamera entstanden. Einzigartig, emotional, bewegend. Dieser dokumentarischen Wahrhaftigkeit räumten wir im Film einen großen Raum ein, und haben dafür auf alles Erklärende und Didaktische verzichtet. Die intensiven Gefühle und Gedanken der Protagonisten stehen im Mittelpunkt des Films.

Die Begegnungen…
… mit den Senioren und die intensiven Gespräche mit ihnen haben mich sehr beeindruckt. Von Anfang an waren bei allen ein großes Vertrauen und der Wunsch sich mitteilen zu wollen da. Es war immer ein ernsthafter Dialog, der es ermöglicht hat auch Dinge wie eine schwere Krankheit und körperliche Gebrechen anzusprechen. Und wie die alten Menschen sich von der Musik und dem Singen mitreißen ließen, war eine ganz besondere Freude.

Das Schönste…
… beim Filmemachen ist für mich, bewegende und magische dokumentarische Momente einzufangen, sie im Schnitt zu einprägsamen Geschichten zu verdichten, und die Zuschauer daran teilhaben zu lassen. Einen künstlerischen und ansprechenden Filmkontext empfinde ich als die größte Belohnung.

 

Bernhard König mit Sigrid Thost

Probe vor dem Auftritt in der Philharmonie Essen

Magdalena Reisinger mit dem Ensemble Neue Vocalsolisten

Filmpremiere in Köln Januar 2013

Mit Wolfgang Bergmann, Bernhard König und WDR-Redakteur Lothar Mattner

Publikumsgespräch

Experimentalchor „Alte Stimmen“